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/Title (Sartre zum 100. Geburtstag)
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/Keywords (Sartre zum 100. Geburtstag; Alfred Betschart; "Keine Briefmarke. Keine Gedenktafel. Fr den franzsischen Staat ist Sartre \(1905-1980\) nach wie vor eine Unperson. Doch die grosse Zahl neu verffentlichter Werke belegt seine ungebrochene An-ziehungskraft. Whrend Malraux schon vergessen ist und Aron auf die Rcksicht der Nachgeborenen zhlen darf, wird ber Sartre immer noch gestritten. Zu sehr prgte Sartre zwischen 1945 und 1975 als einsamer Monolith die franzsische Geisteswelt."; Der Philosoph; "In erster Linie war Sartre Philosoph. Doch seine Philosophie war weder Wissenschaftstheorie im Stile der Angelsachsen, noch schwere Metaphysik la Heidegger. In der Tradition Bergsons stehend, der Philosophie mit Wissenschaft verband, verstand Sartre seine Philosophie als eine Anthropologie des Alltagsmenschen. Schon seine ersten Bcher \(Limagination, La transcendance de lgo, Esquisse dune thorie des motions\), die er 1934-39 unter dem Einfluss der Phnomenologie des frhen Hus-serls verfasste, hatten eine klar psychologische Ausrichtung."; "Dies gilt auch fr sein existentialistisches Hauptwerk Ltre et le nant \(1943\). Es behandelt mehr als nur das Verhltnis des Bewusstseins, des Nichts, zum Sein und der Existenz zur Essenz, wonach der Mensch zuerst ist, bevor er etwas ist. Ltre et le nant ist vor allein psychologisches Werk. In seinem Zentrum steht das Verhltnis zum Andern, symbolisiert in dessen Blick. Die Parallelen zwischen Ad-lers Individualpsychologie und Sartres existentieller Psychoanalyse sind unbersehbar. Was bei Adler der Lebensplan, ist bei Sartre der Entwurf. Der Lebenslge entspricht die mauvaise foi, die Unaufrich-tigkeit. Adlers Streben nach berlegenheit wird bei Sartre zum Konflikt mit dem Andern. Beide spre-chen davon, dass der Mensch Gott sein will. Fr beide ist Sexualitt nicht wie bei Freud primr Aus-druck des Sexualtriebs, sondern des Lebensplanes. Dort wo es Differenzen zwischen beiden gibt, radikalisiert Sartre meist Adlers Thesen, indem er noch die letzten Brcken zu Freud abbricht. So lehnt Sartre konsequent das Unbewusste und die entscheidende Rolle der ersten drei Lebensjahre ab."; "Wie sehr sich Sartre als Vertreter einer existentiellen Psychoanalyse verstand, zeigt sich in den Schriftstellerbiographien, die er ber Baudelaire \(1946\), Mallarm, Genet \(1952\) und Flaubert \(1971/72\) verfasste. Was Adler die klinischen Flle, waren fr Sartre die Schriftsteller. Les mots, sein literarisch bedeutendstes Werk, waren die Autoanalyse seiner eigenen ersten elf Lebensjahre. Diese htten ihn zum Neurotiker gemacht, denn Schreiben sei nicht eine Medizin, sondern eine Krankheit. Fr Les mots erhielt er 1964 den Literaturnobelpreis, den er jedoch wie fast alle andern Ehrungen ablehnte."; "Ab 1952 bezeichnete sich Sartre, seit 1933 Phnomenologe und seit 1940 Existentialist, zwanzig Jah-re lang als Marxisten. Sartre selbst sprach von einem Bruch in seinem Denken. Aber in Tat und Wahr-heit war es eher eine kontinuierliche Weiterentwicklung seiner philosophischen Ttigkeit von der ph-nomenologischen Analyse des Bewusst-seins \(Pour-soi\) ber die existentialistische Analyse des Kon-flikts zwischen Bewusstsein und Sein \(En-soi\) zur marxistischen Analyse des Seins. Fr die Konti-nuitt steht auch, dass sich Sartres Programm einer Kombination von Marxismus, Psychoanalyse und Soziologie sich nicht erst in Questions de mthode \(1957\) findet, sondern schon 1938 in seiner Be-sprechung von Denis de Rougemonts Lamour et loccident. Ausser einem eher oberflchlichen Be-kenntnis zur Dialektik und dem historischen Materialismus ist es aber nur sein politisches Engage-ment, nicht sein philosophisch-literarisches Werk, das erlaubt, Sartre als Marxisten zu bezeichnen."; "Das philosophische Hauptwerk dieser dritten Epoche, die Critique de la raison dialectique \(1960\), war der Versuch, fr seine existentialistische Theorie eine materielle Basis zu legen. Die wichtigsten An-satzpunkte hierzu bildeten die neoklassische konomie mit ihrer Auffassung von Bedrfnissen und Knappheit und die Marxsche Entfremdungstheorie, die aus dem En-soi das Praktisch-Inerte, die ent-fremdete Praxis, werden liess. Darber hinaus gab Sartre Antworten auf Fragen nach den Bedingun-gen von Revolutionen und den Ursachen der Brokratisierung des Kommunismus und der Exzesse wie dem sowjetischen GULag. Mit dem Begriff der Gruppe in Fusion, der Herleitung der Institutionen aus der Gruppe sowie dem Konzept von Terror-Brderlichkeit wagte sich Sartre auf das Gebiet der Soziologie vor. Fr die Analyse des Terrorismus ist Terror-Brderlichkeit noch heute bedeutungsvoll."; Der Moralist; "Wichtiger als die theoretische Philosophie war Sartre immer die Ethik. Seine Kritik an der gutbrgerli-chen Moral bildete die Triebfeder zu seinem philosophischen wie literarischen Schaffen. Da er keines seiner theoretischen Werke ber Moral vollendete, findet sich diese allerdings eher in den Dramen. Vorarbeiten zu der in Ltre et le nant angekndigten Ethik wurden erst posthum verffentlicht \(Ca-hiers pour une morale, 1983\). In Lexistentialisme est un humanisme \(1945/46\) vertrat Sartre noch einen kantischen Imperativ, der die Grenzen des eigenen Handelns dort sah, wo ein Dritter in seiner Freiheit negativ betroffen war. Sartre distanzierte sich jedoch bald hiervon. Die Ethik in Saint Genet ist in ihrem Kern eine Moral des Alles ist erlaubt, deren einzige Anforderung jene der Authentizitt ist. Deren Unhaltbarkeit einsehend kam er zur Schlussfolgerung, dass Ethik obwohl unverzichtbar unmglich ist."; "Im Anschluss an die Critique arbeitete Sartre Mitte der 60er Jahren an seiner zweiten Moral, deren Inhalt erst in Zusammenfassungen vorliegt \(Vorlesung ber Moral und Gesellschaft 1964, Vorlesungs-reihe ber Moral und Geschichte 1965\). Moralisch handeln hiess damals fr ihn vor allem die mensch-liche Autonomie gegen Unterdrckung und Entfremdung verwirklichen. Gegen Ende seines Lebens entwickelte er in seinen Gesprchen mit Benny Lvy \(alias Pierre Victor"; "Lespoir maintenant, 1980\) noch eine dritte Moral. Auf Libert und Egalit folgte Fraternit: die Kernelemente dieser dritten Moral bildeten die brderlichen Beziehungen in der Gruppe und die Hoffnung auf eine freie und gerechte Gesellschaft."; "Die von Sartre praktizierten moralischen Prinzipien blieben jedoch seit 1940 erstaunlich konstant und lassen sich in vier Punkten zusammenfassen. Erstens, der Mensch muss whlen und damit seine Verantwortung vor den Mitmenschen und der Geschichte wahrnehmen. Nicht-Whlen ist kein Aus-weg, sondern heisst Whlen, was sich faktisch durchsetzt. Zweitens, fr den lebenslangen Phnome-nologen Sartre zhlten nur die Resultate der Handlungen, nicht das, was der Mensch beabsichtigt. Drittens, das Gute ist untrennbar mit dem Bsen verbunden. Es gibt nicht die Wahl zwischen Gut und Bse, sondern nur zwischen Gutem mit weniger Bsem und Bsem mit weniger Gutem. Viertens, Gewalt, eigentlich grundstzlich bse, ist gerechtfertigt als Mittel der Schwachen im Kampf gegen die Gewalt der Starken. Gewalt kann auch Terror einschliessen."; "Sartre war Vertreter einer extremen Verantwortungsethik und daraus folgend einer linksradikalen Re-alpolitik. Hier liegt der Hauptgrund der noch heute andauernden Kontroverse um Sartre. Die meisten Menschen fhlen sich dem Gesinnungsethiker Camus nher als Sartre, der seine radikale Verantwor-tungsethik mit usserster Konsequenz durchzog. In der UdSSR ist die Freiheit der Kritik total schrieb er 1954 eine Lge, wie er spter zugab. In Les Damns de la terre \(1961\) untersttzte er Fanons Aufrufe zu Gewaltorgien im Kampf gegen die Kolonialisten. Und 1972 zeigte er Verstndnis fr den berfall der Palstinenser whrend der Olympischen Spiele in Mnchen. Sartre lehnte ab, dass der Mensch nie Mittel, sondern immer nur Zweck sein drfe. Vielmehr postulierte er auf dem Hintergrund der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs und vor allem der Rsistance, die oft sinnlos unschuldige Men-schenopfer forderte, die Einheit von Zweck und Mitteln. Unter dem Titel La rpublique du silence schrieb Sartre 1944 in der ersten frei erscheinenden Nummer der Lettres Franaises, des Organs der franzsischen Schriftsteller im Widerstand, dass die Franzosen nie freier waren als unter der deut-schen Besatzung. Hiermit meinte er dass, niemals Gesinnung weniger und verantwortungsvolles Handeln mehr zhlte als whrend der Okkupation."; "Von diesen moralischen Grundstzen ausgehend entwickelte Sartre konsequent seine Theorie der engagierten Literatur und des Intellektuellen. In der Prsentation der 1945 von ihm gegrndeten Intel-lektuellenzeitschrift Temps Modernes kritisierte Sartre Flaubert und die Brder Goncourt heftig dafr, dass sie sich der gesellschaftlichen Verantwortung entzogen htten. Sartre forderte vom Schriftsteller, Verantwortung zu bernehmen und fr seine Epoche zu schreiben. Noch weiter ging er in den 60er Jahren, als er vom Intellektuellen verlangte, sich aktiv fr die Aufhebung von Klassenstrukturen und Unterdrckung einzusetzen. Sartre hatte sich selbst seit der Affre um Henri Martin 1952 durch Unter-schriften unter Dutzende von Manifesten und durch unzhlige Vorworte in Bchern von linken Autoren engagiert. Ab 1970 intensivierte er seinen politischen Einsatz. Statt dem klassischen Intellektuellen forderte er den Arbeiterintellektuellen. Auf den Pariser Strassen verteilte er die verbotene maoistische Zeitschrift La Cause du Peuple, und er hielt vor Renault-Arbeitern auf einem Fass stehend politische Reden."; "Auf dem Altar seiner rigiden moralischen Grundstze opferte Sartre zwei seiner bedeutendsten Freundschaften. Mit Camus kam es 1952, mit Merleau-Ponty ein Jahr spter zum Bruch. Beide zogen sich weitgehend aus der Politik zurck, weil es nur noch die Wahl zwischen zwei gleichermassen un-befriedigenden politischen Alternativen gab: dem in Kolonialkriegen engagierten Westen unter Fh-rung einer im McCarthyismus verstrickten, damals noch tief rassistischen USA und einem aggressi-ven, durch Schauprozesse und GULag diskreditierten sowjetischen Block. Fr Sartre war jedoch an-gesichts der Schwere der Situation im Gegensatz zu Camus und Merleau-Ponty ein Ausweichen vor der Wahl vllig inakzeptabel."; Der Schriftsteller; "Sartres wichtigstes Mittel zur Darstellung seiner philosophischen und moralischen Positionen waren das Drama und der Roman. Schon in seinem ersten grossen Drama, Les mouches \(1943\), dem Ur-werk des atheistischen Existentialismus, rief er den Menschen dazu auf, in Freiheit durch aktives Handeln und losgelst von Religion und Schuldgefhlen seine Verantwortung wahrzunehmen. In Huis clos \(1944\) analysierte er die zwischenmenschlichen Beziehungen als lenfer, ce sont les autres. Und in seiner Romantrilogie Les chemins de la libert \(1945/49\) verlangte er vom Menschen, authen-tisch zu sein und seine Freiheit durch aktives Engagement wahrzunehmen. 1946 beschrieb er in Morts sans spulture, wie der Mensch seinem Leben selbst in der Extremsituation von Folter und bevorste-hendem Tod noch Sinn geben kann. Mit Les mains sales \(1948\) begann der Dramenzyklus ber Mo-ral. Nicht der Vertreter der Gesinnungsmoral, der Intellektuelle Hugo, sondern der Verantwortungs-ethiker Hoederer, der bereit ist, seine Hnde zu beschmutzen, ist der Held dieses Dramas. In Le di-able et le bon Dieu \(1951\) legte Sartre dafr Zeugnis ab, dass sich Gutes und Bses nicht trennen lassen, sondern aufs Engste miteinander verbunden sind. Und sein letztes bedeutendes Drama, Les squestrs dAltona \(1959\), ist ein grosser moralischer Aufruf, sich seiner Geschichte zu stellen und Verantwortung fr sie zu bernehmen."; "Sartres Werk ist entsprechend seiner Theorie von der engagierten Literatur wesentlich zeit-bedingte Thesenliteratur. Hierin liegt sowohl die Ursache fr seinen grossen Erfolg am Theater zwischen 1945 und 1965 ab 1948 fand die deutsche Urauffhrung von Dramen sptestens ein Jahr nach der fran-zsischen statt wie dafr, dass er heute selten gespielt wird. Doch Sartres literarische Bedeutung geht ber seine philosophisch inspirierten Werke hinaus. In formaler Hinsicht kommen ihm vor allem grosse Verdienste bei der Modernisierung des franzsischen Romans durch die bernahme der Me-thoden der amerikanischen Romanciers vor. Als Phnomenologe zog er den handlungsbezogenen Stil von Dos Passos, Faulkner und Hemingway Prousts Beschreibungen des Innenlebens der Romanges-talten vor."; "Inhaltlich gelangen Sartre vor allem mit seinen Romanen und Novellen, La nause \(1938\), Le mur \(1937-39\) und Les chemins de la libert, Werke von bleibender Bedeutung. Sie bestechen durch die phnomenologischen Beschreibungen von Alltagserfahrungen in ihrem Konflikt zwischen Freiheit und situationsbedingter Einschrnkung. Seine direkte Sprache La nause wurde 1938 vom Verlag zen-suriert und umstrittene Themen wie Abtreibung und Homosexualitt erregten grosses Aufsehen. Es waren seine literarischen und nicht seine philosophischen Werke, die Sartre um 1947 zum Idol der existentialistischen Jugend von Saint-Germain-des-Prs machten. Sie waren andererseits aber auch Anlass zu heftigster Kritik. F. Mauriac warf Sartre Exkrementalismus vor. Die katholische Kirche setzte ihn 1948 auf den Index. Fr die Kommunisten war er eine Schreibtischhyne und ein Ekelschriftstel-ler."; Der politisch Engagierte; "Parallel zu seiner philosophisch-moralischen Entwicklung verlief Sartres politisches Engagement. Der phnomenologischen Phase entsprach seine trotz Aufkommen des Faschismus bis 1939 weitgehend apolitische Haltung. Erst Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft 1939-41 bewirkten eine Umkehr. Sein Versuch, als einer der ersten unter der Bezeichnung Socialisme et libert eine eigene Wider-standsgruppe zu grnden, ehrt zwar Sartre. Damals dachten die Kommunisten, die sich spter Partei der Fsilierten nannten, noch eher an Kollaboration. Doch Socialisme et libert war ein Fehlschlag. Nur die Bezeichnung blieb als Kurzfassung von Sartres politischem Lebensprogramm von Bedeutung."; "Erst 1948 als Mitbegrnder des kurzlebigen RDR, einer linken, neutralistischen und paneuropischen Bewegung, trat Sartre erstmals selbstndig als politisch Engagierter auf. Eine nderung brachte die Hysterie whrend des Koreakriegs, die 1952 dazu fhrte, dass bei der Verhaftung des kommunisti-schen Fraktionsvorsitzenden Duclos zwei von diesem auf dem Markt gekaufte tote Tauben als ver-meintliche Brieftauben beschlagnahmt wurden. Diese Situation brachte Sartre dazu, sich auf die Seite jener Kommunisten zu stellen, die er vier Jahre zuvor in Les mains sales noch aufs Heftigste kritisiert hatte. Whrend vier Jahren, von 1952 bis 1956, war Sartre einer der prominentesten Weggenossen der Kommunisten. Er engagierte sich auch aktiv in der kommunistisch dominierten Friedensbewe-gung."; "Mit der Niederschlagung der Aufstandes in Ungarn 1956 kndigte Sartre seine Weggenossenschaft gegenber den franzsischen Kommunisten so schnell, wie er sie vier Jahre zuvor angetreten hatte. Seine Hoffnungen setzte er nun in die Unabhngigkeitsbewegungen der Dritten Welt. Sein Einsatz gegen den Algerienkrieg und sein Besuch bei Castro \(1960\) machten ihn nicht nur bekannt, sondern ersterer trug ihm auch zwei Bombenattentate der OAS ein. Die Brokratisierung der algerischen Revo-lution wie die Schwulenverfolgungen unter Castro liessen bei Sartre die Hoffnungen auf das Heil aus der Dritten Welt jedoch schnell sinken. Aber er engagierte sich weiterhin intensiv, u.a. als Vorsitzender des Russell-Tribunals 1967 gegen den Vietnamkrieg."; "1968 war fr Sartre ein wichtiger politischer Meilenstein. Einerseits nahm ihm der Einmarsch der War-schauer Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei die letzte Hoffnung auf Fortschritt durch die etablierten Kommunisten. Andererseits entwickelte sich die Studentenbewegung des Mai '68, die er im Gegen-satz zu Aron vehement untersttzte, zu einer fr ihn politisch interessanten Alternative. In konsequen-ter Weiterentwicklung seiner politischen Positionen lehnte Sartre ab 1973 die Bezeichnung Marxist fr sich ab. Er betrachtete die neuen sozialen Bewegungen, vor allem die Frauen- und Schwulenbewe-gungen, als die Herolde einer neuen anti-autoritren Revolution. Mit verschiedenen Projekten, u.a. der Grndung der Zeitung Libration 1973, untersttzte er die Neue Linke. Statt theoretisch ihm nher stehende libertre Bewegungen bevorzugte er allerdings die doktrinren Maoisten von Benny Lvy, hnlich wie er frher die traditionellen Kommunisten des PCF statt die Vertreter von Socialisme ou barbarie whlte. Denn in bereinstimmung mit seinen moralischen Prinzipien konnte das Kriterium seiner Wahl nur die politische Wirksamkeit und nicht die Theorie sein."; "Ein schwerer Schlag war fr Sartre seine Erblindung 1973. Doch bis zu seinem Tod 1980 hrte er nicht auf, den Benachteiligten dieser Welt mit seinem Namen zu helfen. Dazu gehrten prominent die sowjetischen Dissidenten schon 1965 hatte sich Sartre fr Brodskij eingesetzt und die Boat People aus Vietnam, aber auch ein Besuch beim RAF-Terroristen Baader im Kampf gegen politische Gefng-nisse."; Ein Rsum; "Wer nach der bleibenden Leistung von Sartre fragt, findet sie an jenem Schnittpunkt von Philosophie, Moral, Literatur und Politik, der fr Sartre so charakteristisch ist. Mit seiner Philosophie und seinen literarischen Werken verlieh er wie kein zweiter einer Lebensauffassung Ausdruck, die heute so weit verbreitet ist, dass sie niemand mehr mit Sartre in Verbindung setzt: Jeder ist frei, nach seinem eige-nen Lebensentwurf zu leben und glcklich zu werden. Niemand darf wegen eines anderen Lebens-entwurfs diskriminiert werden. Heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, sind wir alle Existentialisten. Dass das zurckgegangene Interesse an Sartre auch mit der berwltigenden Akzeptanz der existen-tialistischen Grundthesen zu tun hat, war schon in Sartres Interview mit Lotta Continua 1977 ein The-ma."; "Sartre setzte sich intensiv gegen Antisemitismus \(Rflexions sur la question juive 1945/46\) und Ras-sismus \(La putaine respectueuse 1946\) ein. Bis zu seinem Tod war Sartre ein Verteidiger Israels. Sein Engagement gegen Rassismus weitete er zum Kampf gegen den Kolonialismus aus. Nicht zu unter-schtzen ist auch sein Eintreten fr Schwule wie Genet. ber de Beauvoir man wird nicht zur frau geboren, man wird dazu gemacht beeinflusste er grundlegend den Feminismus. Und mit seinem Einstehen fr die neuen sozialen Bewegungen in den 70er Jahren wurde Sartre zu einem der Vorvter der Bewegungen, die heute neben den Parteien die Politik beherrschen. Sartre, der letzte bedeutende Intellektuelle der franzsischen Geschichte, erwarb sich bleibende Verdienste um die moderne Ge-sellschaft."; "Doch wo Licht, ist auch Schatten. Manche Kritik fllt jedoch eher unter das Stichwort der Sartrophobie: dass Sartre sich in den 30er Jahren nicht an die Moral hielt, die er in den 40er Jahren entwickelte"; "dass Sartre am Lyce Pasteur eine Stelle antrat, die der Vorvorgnger verlor, weil er Jude war"; "dass Sartre unter den Deutschen publizierte und nicht mit der Waffe in der Hand gegen sie kmpfte aber dies gilt auch fr Camus und Aragon. Und wer Sartre vorwirft, in La rpublique du silence den Wider-stand der Franzosen zu verherrlichen, sollte auch Paris sous loccupation lesen, wohl eines der besten Bilder des zwischen passivem Aussitzen und aktiver Kollaboration schwankenden Frankreichs. Die Tatsache, dass seine heftigen Gegner in den Jahren 1945-50 keinen dieser Punkte erwhnten, be-weist zur Genge deren historische Unhaltbarkeit."; "Von Gewicht ist jedoch die Kritik, dass Sartre, der Philosoph der Freiheit, den totalitren Charakter der extremen Linken in unglaublichem Masse unterschtzte. Neun Jahre nach Sartres Tod war der Traum einer linken Revolution, die Freiheit und Gerechtigkeit bringt, tot. Der Sowjetkommunismus brach in einem Aufstand der Freiheit zusammen, whrend der Maoismus sich in eine wirtschaftliche Laissez-faire-Gesellschaft umwandelte. So bedeutend Sartres Leistungen als Philosoph der Freiheit waren, in seinen Hoffnungen auf eine sozialistische Revolution irrte er sich vollstndig. Die Wende hin zu einer liberalen politischen Verfassung, wie sie die nouveaux philosophes, Glucksmann und Lvy, und zu-letzt auch Foucault in seinen Vorlesungen ber die Geschichte der Gouvernementalitt 1978-79 ver-traten, schaffte er nicht mehr."; "Sartes Bedeutung liegt heute in seinem radikalen Eintreten fr eine Verantwortungsethik. Die Fanati-ker des Klimaschutzes, die Antiglobalisierer, die Anhnger eines absoluten Rechts auf Leben, die Verteidiger der Koalition der Guten gegen die Bsen sie alle von Links bis Rechts eint, dass sie Gesinnungsethiker sind. Sie sind alle Hugos und keine Hoederers, die sich engagieren und dabei die Hnde schmutzig machen. Die bissige Intellektuellenkritik in Les mains sales wartet noch auf ihre Rezeption. Sartres Ablehnung des absolut Guten und absolut Bsen und seine Weigerung, die Mittel von den Zwecken zu trennen, setzen einen bemerkenswerten Gegenpunkt zur heute geltenden Auf-fassung von Moral. Fr Sartre war klar: der Mensch kann und darf Mittel zum Zweck sein."; A.B./1.5.2005/v.1.0)
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Sartre zum 100. Geburtstag
Alfred Betschart
Keine Briefmarke. Keine Gedenktafel. Für den französischen Staat ist Sartre (1905-1980) nach wie vor eine Unperson. Doch die grosse Zahl neu veröffentlichter Werke belegt seine ungebrochene An-ziehungskraft. Während Malraux schon vergessen ist und Aron auf die Rücksicht der Nachgeborenen zählen darf, wird über Sartre immer noch gestritten. Zu sehr prägte Sartre zwischen 1945 und 1975 als einsamer Monolith die französische Geisteswelt.
Der Philosoph
In erster Linie war Sartre Philosoph. Doch seine Philosophie war weder Wissenschaftstheorie im Stile der Angelsachsen, noch schwere Metaphysik à la Heidegger. In der Tradition Bergsons stehend, der Philosophie mit Wissenschaft verband, verstand Sartre seine Philosophie als eine Anthropologie des Alltagsmenschen. Schon seine ersten Bücher (L’imagination, La transcendance de l’égo, Esquisse d’une théorie des émotions), die er 1934-39 unter dem Einfluss der Phänomenologie des frühen Hus-serls verfasste, hatten eine klar psychologische Ausrichtung.
Dies gilt auch für sein existentialistisches Hauptwerk L’être et le néant (1943). Es behandelt mehr als nur das Verhältnis des Bewusstseins, des Nichts, zum Sein und der Existenz zur Essenz, wonach der Mensch zuerst ist, bevor er etwas ist. L’être et le néant ist vor allein psychologisches Werk. In seinem Zentrum steht das Verhältnis zum Andern, symbolisiert in dessen Blick. Die Parallelen zwischen Ad-lers Individualpsychologie und Sartres existentieller Psychoanalyse sind unübersehbar. Was bei Adler der Lebensplan, ist bei Sartre der Entwurf. Der Lebenslüge entspricht die mauvaise foi, die Unaufrich-tigkeit. Adlers Streben nach Überlegenheit wird bei Sartre zum Konflikt mit dem Andern. Beide spre-chen davon, dass der Mensch Gott sein will. Für beide ist Sexualität nicht wie bei Freud primär Aus-druck des Sexualtriebs, sondern des Lebensplanes. Dort wo es Differenzen zwischen beiden gibt, radikalisiert Sartre meist Adlers Thesen, indem er noch die letzten Brücken zu Freud abbricht. So lehnt Sartre konsequent das Unbewusste und die entscheidende Rolle der ersten drei Lebensjahre ab.
Wie sehr sich Sartre als Vertreter einer existentiellen Psychoanalyse verstand, zeigt sich in den Schriftstellerbiographien, die er über Baudelaire (1946), Mallarmé, Genet (1952) und Flaubert (1971/72) verfasste. Was Adler die klinischen Fälle, waren für Sartre die Schriftsteller. Les mots, sein literarisch bedeutendstes Werk, waren die Autoanalyse seiner eigenen ersten elf Lebensjahre. Diese hätten ihn zum Neurotiker gemacht, denn Schreiben sei nicht eine Medizin, sondern eine Krankheit. Für Les mots erhielt er 1964 den Literaturnobelpreis, den er jedoch wie fast alle andern Ehrungen ablehnte.
Ab 1952 bezeichnete sich Sartre, seit 1933 Phänomenologe und seit 1940 Existentialist, zwanzig Jah-re lang als Marxisten. Sartre selbst sprach von einem Bruch in seinem Denken. Aber in Tat und Wahr-heit war es eher eine kontinuierliche Weiterentwicklung seiner philosophischen Tätigkeit von der phä-nomenologischen Analyse des Bewusst-seins (Pour-soi) über die existentialistische Analyse des Kon-flikts zwischen Bewusstsein und Sein (En-soi) zur „marxistischen“ Analyse des Seins. Für die Konti-nuität steht auch, dass sich Sartres Programm einer Kombination von Marxismus, Psychoanalyse und Soziologie sich nicht erst in Questions de méthode (1957) findet, sondern schon 1938 in seiner Be-sprechung von Denis de Rougemonts L’amour et l’occident. Ausser einem eher oberflächlichen Be-kenntnis zur Dialektik und dem historischen Materialismus ist es aber nur sein politisches Engage-ment, nicht sein philosophisch-literarisches Werk, das erlaubt, Sartre als Marxisten zu bezeichnen.
Das philosophische Hauptwerk dieser dritten Epoche, die Critique de la raison dialectique (1960), war der Versuch, für seine existentialistische Theorie eine materielle Basis zu legen. Die wichtigsten An-satzpunkte hierzu bildeten die neoklassische Ökonomie mit ihrer Auffassung von Bedürfnissen und Knappheit und die Marxsche Entfremdungstheorie, die aus dem En-soi das Praktisch-Inerte, die ent-fremdete Praxis, werden liess. Darüber hinaus gab Sartre Antworten auf Fragen nach den Bedingun-gen von Revolutionen und den Ursachen der Bürokratisierung des Kommunismus und der Exzesse wie dem sowjetischen GULag. Mit dem Begriff der „Gruppe in Fusion“, der Herleitung der Institutionen aus der Gruppe sowie dem Konzept von „Terror-Brüderlichkeit“ wagte sich Sartre auf das Gebiet der Soziologie vor. Für die Analyse des Terrorismus ist „Terror-Brüderlichkeit“ noch heute bedeutungsvoll.
Der Moralist
Wichtiger als die theoretische Philosophie war Sartre immer die Ethik. Seine Kritik an der gutbürgerli-chen Moral bildete die Triebfeder zu seinem philosophischen wie literarischen Schaffen. Da er keines seiner theoretischen Werke über Moral vollendete, findet sich diese allerdings eher in den Dramen. Vorarbeiten zu der in L’être et le néant angekündigten Ethik wurden erst posthum veröffentlicht (Ca-hiers pour une morale, 1983). In L’existentialisme est un humanisme (1945/46) vertrat Sartre noch einen kantischen Imperativ, der die Grenzen des eigenen Handelns dort sah, wo ein Dritter in seiner Freiheit negativ betroffen war. Sartre distanzierte sich jedoch bald hiervon. Die Ethik in Saint Genet ist in ihrem Kern eine Moral des „Alles ist erlaubt“, deren einzige Anforderung jene der Authentizität ist. Deren Unhaltbarkeit einsehend kam er zur Schlussfolgerung, dass Ethik – obwohl unverzichtbar – unmöglich ist.
Im Anschluss an die Critique arbeitete Sartre Mitte der 60er Jahren an seiner zweiten Moral, deren Inhalt erst in Zusammenfassungen vorliegt (Vorlesung über Moral und Gesellschaft 1964, Vorlesungs-reihe über Moral und Geschichte 1965). Moralisch handeln hiess damals für ihn vor allem die mensch-liche Autonomie gegen Unterdrückung und Entfremdung verwirklichen. Gegen Ende seines Lebens entwickelte er in seinen Gesprächen mit Benny Lévy (alias Pierre Victor; L’espoir maintenant, 1980) noch eine dritte Moral. Auf Liberté und Egalité folgte Fraternité: die Kernelemente dieser dritten Moral bildeten die brüderlichen Beziehungen in der Gruppe und die Hoffnung auf eine freie und gerechte Gesellschaft.
Die von Sartre praktizierten moralischen Prinzipien blieben jedoch seit 1940 erstaunlich konstant und lassen sich in vier Punkten zusammenfassen. Erstens, der Mensch muss wählen und damit seine Verantwortung vor den Mitmenschen und der Geschichte wahrnehmen. Nicht-Wählen ist kein Aus-weg, sondern heisst Wählen, was sich faktisch durchsetzt. Zweitens, für den lebenslangen Phänome-nologen Sartre zählten nur die Resultate der Handlungen, nicht das, was der Mensch beabsichtigt. Drittens, das Gute ist untrennbar mit dem Bösen verbunden. Es gibt nicht die Wahl zwischen Gut und Böse, sondern nur zwischen Gutem mit weniger Bösem und Bösem mit weniger Gutem. Viertens, Gewalt, eigentlich grundsätzlich böse, ist gerechtfertigt als Mittel der Schwachen im Kampf gegen die Gewalt der Starken. Gewalt kann auch Terror einschliessen.
Sartre war Vertreter einer extremen Verantwortungsethik und daraus folgend einer linksradikalen Re-alpolitik. Hier liegt der Hauptgrund der noch heute andauernden Kontroverse um Sartre. Die meisten Menschen fühlen sich dem Gesinnungsethiker Camus näher als Sartre, der seine radikale Verantwor-tungsethik mit äusserster Konsequenz durchzog. „In der UdSSR ist die Freiheit der Kritik total“ schrieb er 1954 – eine Lüge, wie er später zugab. In Les Damnés de la terre (1961) unterstützte er Fanons Aufrufe zu Gewaltorgien im Kampf gegen die Kolonialisten. Und 1972 zeigte er Verständnis für den Überfall der Palästinenser während der Olympischen Spiele in München. Sartre lehnte ab, dass der Mensch nie Mittel, sondern immer nur Zweck sein dürfe. Vielmehr postulierte er auf dem Hintergrund der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs und vor allem der Résistance, die oft sinnlos unschuldige Men-schenopfer forderte, die Einheit von Zweck und Mitteln. Unter dem Titel La république du silence schrieb Sartre 1944 in der ersten frei erscheinenden Nummer der Lettres Françaises, des Organs der französischen Schriftsteller im Widerstand, dass die Franzosen nie freier waren als unter der deut-schen Besatzung. Hiermit meinte er dass, niemals Gesinnung weniger und verantwortungsvolles Handeln mehr zählte als während der Okkupation.
Von diesen moralischen Grundsätzen ausgehend entwickelte Sartre konsequent seine Theorie der engagierten Literatur und des Intellektuellen. In der Présentation der 1945 von ihm gegründeten Intel-lektuellenzeitschrift Temps Modernes kritisierte Sartre Flaubert und die Brüder Goncourt heftig dafür, dass sie sich der gesellschaftlichen Verantwortung entzogen hätten. Sartre forderte vom Schriftsteller, Verantwortung zu übernehmen und für seine Epoche zu schreiben. Noch weiter ging er in den 60er Jahren, als er vom Intellektuellen verlangte, sich aktiv für die Aufhebung von Klassenstrukturen und Unterdrückung einzusetzen. Sartre hatte sich selbst seit der Affäre um Henri Martin 1952 durch Unter-schriften unter Dutzende von Manifesten und durch unzählige Vorworte in Büchern von linken Autoren engagiert. Ab 1970 intensivierte er seinen politischen Einsatz. Statt dem klassischen Intellektuellen forderte er den Arbeiterintellektuellen. Auf den Pariser Strassen verteilte er die verbotene maoistische Zeitschrift La Cause du Peuple, und er hielt vor Renault-Arbeitern auf einem Fass stehend politische Reden.
Auf dem Altar seiner rigiden moralischen Grundsätze opferte Sartre zwei seiner bedeutendsten Freundschaften. Mit Camus kam es 1952, mit Merleau-Ponty ein Jahr später zum Bruch. Beide zogen sich weitgehend aus der Politik zurück, weil es nur noch die Wahl zwischen zwei gleichermassen un-befriedigenden politischen Alternativen gab: dem in Kolonialkriegen engagierten Westen unter Füh-rung einer im McCarthyismus verstrickten, damals noch tief rassistischen USA und einem aggressi-ven, durch Schauprozesse und GULag diskreditierten sowjetischen Block. Für Sartre war jedoch an-gesichts der Schwere der Situation im Gegensatz zu Camus und Merleau-Ponty ein Ausweichen vor der Wahl völlig inakzeptabel.
Der Schriftsteller
Sartres wichtigstes Mittel zur Darstellung seiner philosophischen und moralischen Positionen waren das Drama und der Roman. Schon in seinem ersten grossen Drama, Les mouches (1943), dem Ur-werk des atheistischen Existentialismus, rief er den Menschen dazu auf, in Freiheit durch aktives Handeln und losgelöst von Religion und Schuldgefühlen seine Verantwortung wahrzunehmen. In Huis clos (1944) analysierte er die zwischenmenschlichen Beziehungen als „l’enfer, ce sont les autres“. Und in seiner Romantrilogie Les chemins de la liberté (1945/49) verlangte er vom Menschen, authen-tisch zu sein und seine Freiheit durch aktives Engagement wahrzunehmen. 1946 beschrieb er in Morts sans sépulture, wie der Mensch seinem Leben selbst in der Extremsituation von Folter und bevorste-hendem Tod noch Sinn geben kann. Mit Les mains sales (1948) begann der Dramenzyklus über Mo-ral. Nicht der Vertreter der Gesinnungsmoral, der Intellektuelle Hugo, sondern der Verantwortungs-ethiker Hoederer, der bereit ist, seine Hände zu beschmutzen, ist der Held dieses Dramas. In Le di-able et le bon Dieu (1951) legte Sartre dafür Zeugnis ab, dass sich Gutes und Böses nicht trennen lassen, sondern aufs Engste miteinander verbunden sind. Und sein letztes bedeutendes Drama, Les séquestrés d’Altona (1959), ist ein grosser moralischer Aufruf, sich seiner Geschichte zu stellen und Verantwortung für sie zu übernehmen.
Sartres Werk ist entsprechend seiner Theorie von der engagierten Literatur wesentlich zeit-bedingte Thesenliteratur. Hierin liegt sowohl die Ursache für seinen grossen Erfolg am Theater zwischen 1945 und 1965 – ab 1948 fand die deutsche Uraufführung von Dramen spätestens ein Jahr nach der fran-zösischen statt – wie dafür, dass er heute selten gespielt wird. Doch Sartres literarische Bedeutung geht über seine philosophisch inspirierten Werke hinaus. In formaler Hinsicht kommen ihm vor allem grosse Verdienste bei der Modernisierung des französischen Romans durch die Übernahme der Me-thoden der amerikanischen Romanciers vor. Als Phänomenologe zog er den handlungsbezogenen Stil von Dos Passos, Faulkner und Hemingway Prousts Beschreibungen des Innenlebens der Romanges-talten vor.
Inhaltlich gelangen Sartre vor allem mit seinen Romanen und Novellen, La nausée (1938), Le mur (1937-39) und Les chemins de la liberté, Werke von bleibender Bedeutung. Sie bestechen durch die phänomenologischen Beschreibungen von Alltagserfahrungen in ihrem Konflikt zwischen Freiheit und situationsbedingter Einschränkung. Seine direkte Sprache – La nausée wurde 1938 vom Verlag zen-suriert – und umstrittene Themen wie Abtreibung und Homosexualität erregten grosses Aufsehen. Es waren seine literarischen und nicht seine philosophischen Werke, die Sartre um 1947 zum Idol der existentialistischen Jugend von Saint-Germain-des-Prés machten. Sie waren andererseits aber auch Anlass zu heftigster Kritik. F. Mauriac warf Sartre Exkrementalismus vor. Die katholische Kirche setzte ihn 1948 auf den Index. Für die Kommunisten war er eine „Schreibtischhyäne“ und ein Ekelschriftstel-ler.
Der politisch Engagierte
Parallel zu seiner philosophisch-moralischen Entwicklung verlief Sartres politisches Engagement. Der phänomenologischen Phase entsprach seine trotz Aufkommen des Faschismus bis 1939 weitgehend apolitische Haltung. Erst Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft 1939-41 bewirkten eine Umkehr. Sein Versuch, als einer der ersten – unter der Bezeichnung Socialisme et liberté – eine eigene Wider-standsgruppe zu gründen, ehrt zwar Sartre. Damals dachten die Kommunisten, die sich später Partei der Füsilierten nannten, noch eher an Kollaboration. Doch Socialisme et liberté war ein Fehlschlag. Nur die Bezeichnung blieb als Kurzfassung von Sartres politischem Lebensprogramm von Bedeutung.
Erst 1948 als Mitbegründer des kurzlebigen RDR, einer linken, neutralistischen und paneuropäischen Bewegung, trat Sartre erstmals selbständig als politisch Engagierter auf. Eine Änderung brachte die Hysterie während des Koreakriegs, die 1952 dazu führte, dass bei der Verhaftung des kommunisti-schen Fraktionsvorsitzenden Duclos zwei von diesem auf dem Markt gekaufte tote Tauben als ver-meintliche Brieftauben beschlagnahmt wurden. Diese Situation brachte Sartre dazu, sich auf die Seite jener Kommunisten zu stellen, die er vier Jahre zuvor in Les mains sales noch aufs Heftigste kritisiert hatte. Während vier Jahren, von 1952 bis 1956, war Sartre einer der prominentesten Weggenossen der Kommunisten. Er engagierte sich auch aktiv in der kommunistisch dominierten Friedensbewe-gung.
Mit der Niederschlagung der Aufstandes in Ungarn 1956 kündigte Sartre seine Weggenossenschaft gegenüber den französischen Kommunisten so schnell, wie er sie vier Jahre zuvor angetreten hatte. Seine Hoffnungen setzte er nun in die Unabhängigkeitsbewegungen der Dritten Welt. Sein Einsatz gegen den Algerienkrieg und sein Besuch bei Castro (1960) machten ihn nicht nur bekannt, sondern ersterer trug ihm auch zwei Bombenattentate der OAS ein. Die Bürokratisierung der algerischen Revo-lution wie die Schwulenverfolgungen unter Castro liessen bei Sartre die Hoffnungen auf das Heil aus der Dritten Welt jedoch schnell sinken. Aber er engagierte sich weiterhin intensiv, u.a. als Vorsitzender des Russell-Tribunals 1967 gegen den Vietnamkrieg.
1968 war für Sartre ein wichtiger politischer Meilenstein. Einerseits nahm ihm der Einmarsch der War-schauer Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei die letzte Hoffnung auf Fortschritt durch die etablierten Kommunisten. Andererseits entwickelte sich die Studentenbewegung des Mai '68, die er im Gegen-satz zu Aron vehement unterstützte, zu einer für ihn politisch interessanten Alternative. In konsequen-ter Weiterentwicklung seiner politischen Positionen lehnte Sartre ab 1973 die Bezeichnung Marxist für sich ab. Er betrachtete die neuen sozialen Bewegungen, vor allem die Frauen- und Schwulenbewe-gungen, als die Herolde einer neuen anti-autoritären Revolution. Mit verschiedenen Projekten, u.a. der Gründung der Zeitung Libération 1973, unterstützte er die Neue Linke. Statt theoretisch ihm näher stehende libertäre Bewegungen bevorzugte er allerdings die doktrinären Maoisten von Benny Lévy, ähnlich wie er früher die traditionellen Kommunisten des PCF statt die Vertreter von Socialisme ou barbarie wählte. Denn in Übereinstimmung mit seinen moralischen Prinzipien konnte das Kriterium seiner Wahl nur die politische Wirksamkeit und nicht die Theorie sein.
Ein schwerer Schlag war für Sartre seine Erblindung 1973. Doch bis zu seinem Tod 1980 hörte er nicht auf, den Benachteiligten dieser Welt mit seinem Namen zu helfen. Dazu gehörten prominent die sowjetischen Dissidenten – schon 1965 hatte sich Sartre für Brodskij eingesetzt – und die Boat People aus Vietnam, aber auch ein Besuch beim RAF-Terroristen Baader im Kampf gegen politische Gefäng-nisse.
Ein Résumé
Wer nach der bleibenden Leistung von Sartre fragt, findet sie an jenem Schnittpunkt von Philosophie, Moral, Literatur und Politik, der für Sartre so charakteristisch ist. Mit seiner Philosophie und seinen literarischen Werken verlieh er wie kein zweiter einer Lebensauffassung Ausdruck, die heute so weit verbreitet ist, dass sie niemand mehr mit Sartre in Verbindung setzt: Jeder ist frei, nach seinem eige-nen Lebensentwurf zu leben und glücklich zu werden. Niemand darf wegen eines anderen Lebens-entwurfs diskriminiert werden. Heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, sind wir alle Existentialisten. Dass das zurückgegangene Interesse an Sartre auch mit der überwältigenden Akzeptanz der existen-tialistischen Grundthesen zu tun hat, war schon in Sartres Interview mit Lotta Continua 1977 ein The-ma.
Sartre setzte sich intensiv gegen Antisemitismus (Réflexions sur la question juive 1945/46) und Ras-sismus (La putaine respectueuse 1946) ein. Bis zu seinem Tod war Sartre ein Verteidiger Israels. Sein Engagement gegen Rassismus weitete er zum Kampf gegen den Kolonialismus aus. Nicht zu unter-schätzen ist auch sein Eintreten für Schwule wie Genet. Über de Beauvoir – „man wird nicht zur frau geboren, man wird dazu gemacht“ – beeinflusste er grundlegend den Feminismus. Und mit seinem Einstehen für die neuen sozialen Bewegungen in den 70er Jahren wurde Sartre zu einem der Vorväter der Bewegungen, die heute neben den Parteien die Politik beherrschen. Sartre, der letzte bedeutende Intellektuelle der französischen Geschichte, erwarb sich bleibende Verdienste um die moderne Ge-sellschaft.
Doch wo Licht, ist auch Schatten. Manche Kritik fällt jedoch eher unter das Stichwort der Sartrophobie: dass Sartre sich in den 30er Jahren nicht an die Moral hielt, die er in den 40er Jahren entwickelte; dass Sartre am Lycée Pasteur eine Stelle antrat, die der Vorvorgänger verlor, weil er Jude war; dass Sartre unter den Deutschen publizierte und nicht mit der Waffe in der Hand gegen sie kämpfte – aber dies gilt auch für Camus und Aragon. Und wer Sartre vorwirft, in La république du silence den Wider-stand der Franzosen zu verherrlichen, sollte auch Paris sous l’occupation lesen, wohl eines der besten Bilder des zwischen passivem Aussitzen und aktiver Kollaboration schwankenden Frankreichs. Die Tatsache, dass seine heftigen Gegner in den Jahren 1945-50 keinen dieser Punkte erwähnten, be-weist zur Genüge deren historische Unhaltbarkeit.
Von Gewicht ist jedoch die Kritik, dass Sartre, der Philosoph der Freiheit, den totalitären Charakter der extremen Linken in unglaublichem Masse unterschätzte. Neun Jahre nach Sartres Tod war der Traum einer linken Revolution, die Freiheit und Gerechtigkeit bringt, tot. Der Sowjetkommunismus brach in einem Aufstand der Freiheit zusammen, während der Maoismus sich in eine wirtschaftliche Laissez-faire-Gesellschaft umwandelte. So bedeutend Sartres Leistungen als Philosoph der Freiheit waren, in seinen Hoffnungen auf eine sozialistische Revolution irrte er sich vollständig. Die Wende hin zu einer liberalen politischen Verfassung, wie sie die nouveaux philosophes, Glucksmann und Lévy, und zu-letzt auch Foucault in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Gouvernementalität 1978-79 ver-traten, schaffte er nicht mehr.
Sartes Bedeutung liegt heute in seinem radikalen Eintreten für eine Verantwortungsethik. Die Fanati-ker des Klimaschutzes, die Antiglobalisierer, die Anhänger eines absoluten Rechts auf Leben, die Verteidiger der Koalition der Guten gegen die Bösen – sie alle von Links bis Rechts eint, dass sie Gesinnungsethiker sind. Sie sind alle Hugos und keine Hoederers, die sich engagieren und dabei die Hände schmutzig machen. Die bissige Intellektuellenkritik in Les mains sales wartet noch auf ihre Rezeption. Sartres Ablehnung des absolut Guten und absolut Bösen und seine Weigerung, die Mittel von den Zwecken zu trennen, setzen einen bemerkenswerten Gegenpunkt zur heute geltenden Auf-fassung von Moral. Für Sartre war klar: der Mensch kann und darf Mittel zum Zweck sein.
A.B./1.5.2005/v.1.0
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Sartre zum 100. Geburtstag
Alfred Betschart
Sartre existenielle Psychoanalyse
Sartre zum 100. Geburtstag
Alfred Betschart
Keine Briefmarke. Keine Gedenktafel. Für den französischen Staat ist Sartre (1905-1980) nach wie vor eine Unperson. Doch die grosse Zahl neu veröffentlichter Werke belegt seine ungebrochene An-ziehungskraft. Während Malraux schon vergessen ist und Aron auf die Rücksicht der Nachgeborenen zählen darf, wird über Sartre immer noch gestritten. Zu sehr prägte Sartre zwischen 1945 und 1975 als einsamer Monolith die französische Geisteswelt.
Der Philosoph
In erster Linie war Sartre Philosoph. Doch seine Philosophie war weder Wissenschaftstheorie im Stile der Angelsachsen, noch schwere Metaphysik à la Heidegger. In der Tradition Bergsons stehend, der Philosophie mit Wissenschaft verband, verstand Sartre seine Philosophie als eine Anthropologie des Alltagsmenschen. Schon seine ersten Bücher (L’imagination, La transcendance de l’égo, Esquisse d’une théorie des émotions), die er 1934-39 unter dem Einfluss der Phänomenologie des frühen Hus-serls verfasste, hatten eine klar psychologische Ausrichtung.
Dies gilt auch für sein existentialistisches Hauptwerk L’être et le néant (1943). Es behandelt mehr als nur das Verhältnis des Bewusstseins, des Nichts, zum Sein und der Existenz zur Essenz, wonach der Mensch zuerst ist, bevor er etwas ist. L’être et le néant ist vor allein psychologisches Werk. In seinem Zentrum steht das Verhältnis zum Andern, symbolisiert in dessen Blick. Die Parallelen zwischen Ad-lers Individualpsychologie und Sartres existentieller Psychoanalyse sind unübersehbar. Was bei Adler der Lebensplan, ist bei Sartre der Entwurf. Der Lebenslüge entspricht die mauvaise foi, die Unaufrich-tigkeit. Adlers Streben nach Überlegenheit wird bei Sartre zum Konflikt mit dem Andern. Beide spre-chen davon, dass der Mensch Gott sein will. Für beide ist Sexualität nicht wie bei Freud primär Aus-druck des Sexualtriebs, sondern des Lebensplanes. Dort wo es Differenzen zwischen beiden gibt, radikalisiert Sartre meist Adlers Thesen, indem er noch die letzten Brücken zu Freud abbricht. So lehnt Sartre konsequent das Unbewusste und die entscheidende Rolle der ersten drei Lebensjahre ab.
Wie sehr sich Sartre als Vertreter einer existentiellen Psychoanalyse verstand, zeigt sich in den Schriftstellerbiographien, die er über Baudelaire (1946), Mallarmé, Genet (1952) und Flaubert (1971/72) verfasste. Was Adler die klinischen Fälle, waren für Sartre die Schriftsteller. Les mots, sein literarisch bedeutendstes Werk, waren die Autoanalyse seiner eigenen ersten elf Lebensjahre. Diese hätten ihn zum Neurotiker gemacht, denn Schreiben sei nicht eine Medizin, sondern eine Krankheit. Für Les mots erhielt er 1964 den Literaturnobelpreis, den er jedoch wie fast alle andern Ehrungen ablehnte.
Ab 1952 bezeichnete sich Sartre, seit 1933 Phänomenologe und seit 1940 Existentialist, zwanzig Jah-re lang als Marxisten. Sartre selbst sprach von einem Bruch in seinem Denken. Aber in Tat und Wahr-heit war es eher eine kontinuierliche Weiterentwicklung seiner philosophischen Tätigkeit von der phä-nomenologischen Analyse des Bewusst-seins (Pour-soi) über die existentialistische Analyse des Kon-flikts zwischen Bewusstsein und Sein (En-soi) zur „marxistischen“ Analyse des Seins. Für die Konti-nuität steht auch, dass sich Sartres Programm einer Kombination von Marxismus, Psychoanalyse und Soziologie sich nicht erst in Questions de méthode (1957) findet, sondern schon 1938 in seiner Be-sprechung von Denis de Rougemonts L’amour et l’occident. Ausser einem eher oberflächlichen Be-kenntnis zur Dialektik und dem historischen Materialismus ist es aber nur sein politisches Engage-ment, nicht sein philosophisch-literarisches Werk, das erlaubt, Sartre als Marxisten zu bezeichnen.
Das philosophische Hauptwerk dieser dritten Epoche, die Critique de la raison dialectique (1960), war der Versuch, für seine existentialistische Theorie eine materielle Basis zu legen. Die wichtigsten An-satzpunkte hierzu bildeten die neoklassische Ökonomie mit ihrer Auffassung von Bedürfnissen und Knappheit und die Marxsche Entfremdungstheorie, die aus dem En-soi das Praktisch-Inerte, die ent-fremdete Praxis, werden liess. Darüber hinaus gab Sartre Antworten auf Fragen nach den Bedingun-gen von Revolutionen und den Ursachen der Bürokratisierung des Kommunismus und der Exzesse wie dem sowjetischen GULag. Mit dem Begriff der „Gruppe in Fusion“, der Herleitung der Institutionen aus der Gruppe sowie dem Konzept von „Terror-Brüderlichkeit“ wagte sich Sartre auf das Gebiet der Soziologie vor. Für die Analyse des Terrorismus ist „Terror-Brüderlichkeit“ noch heute bedeutungsvoll.
Der Moralist
Wichtiger als die theoretische Philosophie war Sartre immer die Ethik. Seine Kritik an der gutbürgerli-chen Moral bildete die Triebfeder zu seinem philosophischen wie literarischen Schaffen. Da er keines seiner theoretischen Werke über Moral vollendete, findet sich diese allerdings eher in den Dramen. Vorarbeiten zu der in L’être et le néant angekündigten Ethik wurden erst posthum veröffentlicht (Ca-hiers pour une morale, 1983). In L’existentialisme est un humanisme (1945/46) vertrat Sartre noch einen kantischen Imperativ, der die Grenzen des eigenen Handelns dort sah, wo ein Dritter in seiner Freiheit negativ betroffen war. Sartre distanzierte sich jedoch bald hiervon. Die Ethik in Saint Genet ist in ihrem Kern eine Moral des „Alles ist erlaubt“, deren einzige Anforderung jene der Authentizität ist. Deren Unhaltbarkeit einsehend kam er zur Schlussfolgerung, dass Ethik – obwohl unverzichtbar – unmöglich ist.
Im Anschluss an die Critique arbeitete Sartre Mitte der 60er Jahren an seiner zweiten Moral, deren Inhalt erst in Zusammenfassungen vorliegt (Vorlesung über Moral und Gesellschaft 1964, Vorlesungs-reihe über Moral und Geschichte 1965). Moralisch handeln hiess damals für ihn vor allem die mensch-liche Autonomie gegen Unterdrückung und Entfremdung verwirklichen. Gegen Ende seines Lebens entwickelte er in seinen Gesprächen mit Benny Lévy (alias Pierre Victor
L’espoir maintenant, 1980) noch eine dritte Moral. Auf Liberté und Egalité folgte Fraternité: die Kernelemente dieser dritten Moral bildeten die brüderlichen Beziehungen in der Gruppe und die Hoffnung auf eine freie und gerechte Gesellschaft.
Die von Sartre praktizierten moralischen Prinzipien blieben jedoch seit 1940 erstaunlich konstant und lassen sich in vier Punkten zusammenfassen. Erstens, der Mensch muss wählen und damit seine Verantwortung vor den Mitmenschen und der Geschichte wahrnehmen. Nicht-Wählen ist kein Aus-weg, sondern heisst Wählen, was sich faktisch durchsetzt. Zweitens, für den lebenslangen Phänome-nologen Sartre zählten nur die Resultate der Handlungen, nicht das, was der Mensch beabsichtigt. Drittens, das Gute ist untrennbar mit dem Bösen verbunden. Es gibt nicht die Wahl zwischen Gut und Böse, sondern nur zwischen Gutem mit weniger Bösem und Bösem mit weniger Gutem. Viertens, Gewalt, eigentlich grundsätzlich böse, ist gerechtfertigt als Mittel der Schwachen im Kampf gegen die Gewalt der Starken. Gewalt kann auch Terror einschliessen.
Sartre war Vertreter einer extremen Verantwortungsethik und daraus folgend einer linksradikalen Re-alpolitik. Hier liegt der Hauptgrund der noch heute andauernden Kontroverse um Sartre. Die meisten Menschen fühlen sich dem Gesinnungsethiker Camus näher als Sartre, der seine radikale Verantwor-tungsethik mit äusserster Konsequenz durchzog. „In der UdSSR ist die Freiheit der Kritik total“ schrieb er 1954 – eine Lüge, wie er später zugab. In Les Damnés de la terre (1961) unterstützte er Fanons Aufrufe zu Gewaltorgien im Kampf gegen die Kolonialisten. Und 1972 zeigte er Verständnis für den Überfall der Palästinenser während der Olympischen Spiele in München. Sartre lehnte ab, dass der Mensch nie Mittel, sondern immer nur Zweck sein dürfe. Vielmehr postulierte er auf dem Hintergrund der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs und vor allem der Résistance, die oft sinnlos unschuldige Men-schenopfer forderte, die Einheit von Zweck und Mitteln. Unter dem Titel La république du silence schrieb Sartre 1944 in der ersten frei erscheinenden Nummer der Lettres Françaises, des Organs der französischen Schriftsteller im Widerstand, dass die Franzosen nie freier waren als unter der deut-schen Besatzung. Hiermit meinte er dass, niemals Gesinnung weniger und verantwortungsvolles Handeln mehr zählte als während der Okkupation.
Von diesen moralischen Grundsätzen ausgehend entwickelte Sartre konsequent seine Theorie der engagierten Literatur und des Intellektuellen. In der Présentation der 1945 von ihm gegründeten Intel-lektuellenzeitschrift Temps Modernes kritisierte Sartre Flaubert und die Brüder Goncourt heftig dafür, dass sie sich der gesellschaftlichen Verantwortung entzogen hätten. Sartre forderte vom Schriftsteller, Verantwortung zu übernehmen und für seine Epoche zu schreiben. Noch weiter ging er in den 60er Jahren, als er vom Intellektuellen verlangte, sich aktiv für die Aufhebung von Klassenstrukturen und Unterdrückung einzusetzen. Sartre hatte sich selbst seit der Affäre um Henri Martin 1952 durch Unter-schriften unter Dutzende von Manifesten und durch unzählige Vorworte in Büchern von linken Autoren engagiert. Ab 1970 intensivierte er seinen politischen Einsatz. Statt dem klassischen Intellektuellen forderte er den Arbeiterintellektuellen. Auf den Pariser Strassen verteilte er die verbotene maoistische Zeitschrift La Cause du Peuple, und er hielt vor Renault-Arbeitern auf einem Fass stehend politische Reden.
Auf dem Altar seiner rigiden moralischen Grundsätze opferte Sartre zwei seiner bedeutendsten Freundschaften. Mit Camus kam es 1952, mit Merleau-Ponty ein Jahr später zum Bruch. Beide zogen sich weitgehend aus der Politik zurück, weil es nur noch die Wahl zwischen zwei gleichermassen un-befriedigenden politischen Alternativen gab: dem in Kolonialkriegen engagierten Westen unter Füh-rung einer im McCarthyismus verstrickten, damals noch tief rassistischen USA und einem aggressi-ven, durch Schauprozesse und GULag diskreditierten sowjetischen Block. Für Sartre war jedoch an-gesichts der Schwere der Situation im Gegensatz zu Camus und Merleau-Ponty ein Ausweichen vor der Wahl völlig inakzeptabel.
Der Schriftsteller
Sartres wichtigstes Mittel zur Darstellung seiner philosophischen und moralischen Positionen waren das Drama und der Roman. Schon in seinem ersten grossen Drama, Les mouches (1943), dem Ur-werk des atheistischen Existentialismus, rief er den Menschen dazu auf, in Freiheit durch aktives Handeln und losgelöst von Religion und Schuldgefühlen seine Verantwortung wahrzunehmen. In Huis clos (1944) analysierte er die zwischenmenschlichen Beziehungen als „l’enfer, ce sont les autres“. Und in seiner Romantrilogie Les chemins de la liberté (1945/49) verlangte er vom Menschen, authen-tisch zu sein und seine Freiheit durch aktives Engagement wahrzunehmen. 1946 beschrieb er in Morts sans sépulture, wie der Mensch seinem Leben selbst in der Extremsituation von Folter und bevorste-hendem Tod noch Sinn geben kann. Mit Les mains sales (1948) begann der Dramenzyklus über Mo-ral. Nicht der Vertreter der Gesinnungsmoral, der Intellektuelle Hugo, sondern der Verantwortungs-ethiker Hoederer, der bereit ist, seine Hände zu beschmutzen, ist der Held dieses Dramas. In Le di-able et le bon Dieu (1951) legte Sartre dafür Zeugnis ab, dass sich Gutes und Böses nicht trennen lassen, sondern aufs Engste miteinander verbunden sind. Und sein letztes bedeutendes Drama, Les séquestrés d’Altona (1959), ist ein grosser moralischer Aufruf, sich seiner Geschichte zu stellen und Verantwortung für sie zu übernehmen.
Sartres Werk ist entsprechend seiner Theorie von der engagierten Literatur wesentlich zeit-bedingte Thesenliteratur. Hierin liegt sowohl die Ursache für seinen grossen Erfolg am Theater zwischen 1945 und 1965 – ab 1948 fand die deutsche Uraufführung von Dramen spätestens ein Jahr nach der fran-zösischen statt – wie dafür, dass er heute selten gespielt wird. Doch Sartres literarische Bedeutung geht über seine philosophisch inspirierten Werke hinaus. In formaler Hinsicht kommen ihm vor allem grosse Verdienste bei der Modernisierung des französischen Romans durch die Übernahme der Me-thoden der amerikanischen Romanciers vor. Als Phänomenologe zog er den handlungsbezogenen Stil von Dos Passos, Faulkner und Hemingway Prousts Beschreibungen des Innenlebens der Romanges-talten vor.
Inhaltlich gelangen Sartre vor allem mit seinen Romanen und Novellen, La nausée (1938), Le mur (1937-39) und Les chemins de la liberté, Werke von bleibender Bedeutung. Sie bestechen durch die phänomenologischen Beschreibungen von Alltagserfahrungen in ihrem Konflikt zwischen Freiheit und situationsbedingter Einschränkung. Seine direkte Sprache – La nausée wurde 1938 vom Verlag zen-suriert – und umstrittene Themen wie Abtreibung und Homosexualität erregten grosses Aufsehen. Es waren seine literarischen und nicht seine philosophischen Werke, die Sartre um 1947 zum Idol der existentialistischen Jugend von Saint-Germain-des-Prés machten. Sie waren andererseits aber auch Anlass zu heftigster Kritik. F. Mauriac warf Sartre Exkrementalismus vor. Die katholische Kirche setzte ihn 1948 auf den Index. Für die Kommunisten war er eine „Schreibtischhyäne“ und ein Ekelschriftstel-ler.
Der politisch Engagierte
Parallel zu seiner philosophisch-moralischen Entwicklung verlief Sartres politisches Engagement. Der phänomenologischen Phase entsprach seine trotz Aufkommen des Faschismus bis 1939 weitgehend apolitische Haltung. Erst Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft 1939-41 bewirkten eine Umkehr. Sein Versuch, als einer der ersten – unter der Bezeichnung Socialisme et liberté – eine eigene Wider-standsgruppe zu gründen, ehrt zwar Sartre. Damals dachten die Kommunisten, die sich später Partei der Füsilierten nannten, noch eher an Kollaboration. Doch Socialisme et liberté war ein Fehlschlag. Nur die Bezeichnung blieb als Kurzfassung von Sartres politischem Lebensprogramm von Bedeutung.
Erst 1948 als Mitbegründer des kurzlebigen RDR, einer linken, neutralistischen und paneuropäischen Bewegung, trat Sartre erstmals selbständig als politisch Engagierter auf. Eine Änderung brachte die Hysterie während des Koreakriegs, die 1952 dazu führte, dass bei der Verhaftung des kommunisti-schen Fraktionsvorsitzenden Duclos zwei von diesem auf dem Markt gekaufte tote Tauben als ver-meintliche Brieftauben beschlagnahmt wurden. Diese Situation brachte Sartre dazu, sich auf die Seite jener Kommunisten zu stellen, die er vier Jahre zuvor in Les mains sales noch aufs Heftigste kritisiert hatte. Während vier Jahren, von 1952 bis 1956, war Sartre einer der prominentesten Weggenossen der Kommunisten. Er engagierte sich auch aktiv in der kommunistisch dominierten Friedensbewe-gung.
Mit der Niederschlagung der Aufstandes in Ungarn 1956 kündigte Sartre seine Weggenossenschaft gegenüber den französischen Kommunisten so schnell, wie er sie vier Jahre zuvor angetreten hatte. Seine Hoffnungen setzte er nun in die Unabhängigkeitsbewegungen der Dritten Welt. Sein Einsatz gegen den Algerienkrieg und sein Besuch bei Castro (1960) machten ihn nicht nur bekannt, sondern ersterer trug ihm auch zwei Bombenattentate der OAS ein. Die Bürokratisierung der algerischen Revo-lution wie die Schwulenverfolgungen unter Castro liessen bei Sartre die Hoffnungen auf das Heil aus der Dritten Welt jedoch schnell sinken. Aber er engagierte sich weiterhin intensiv, u.a. als Vorsitzender des Russell-Tribunals 1967 gegen den Vietnamkrieg.
1968 war für Sartre ein wichtiger politischer Meilenstein. Einerseits nahm ihm der Einmarsch der War-schauer Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei die letzte Hoffnung auf Fortschritt durch die etablierten Kommunisten. Andererseits entwickelte sich die Studentenbewegung des Mai '68, die er im Gegen-satz zu Aron vehement unterstützte, zu einer für ihn politisch interessanten Alternative. In konsequen-ter Weiterentwicklung seiner politischen Positionen lehnte Sartre ab 1973 die Bezeichnung Marxist für sich ab. Er betrachtete die neuen sozialen Bewegungen, vor allem die Frauen- und Schwulenbewe-gungen, als die Herolde einer neuen anti-autoritären Revolution. Mit verschiedenen Projekten, u.a. der Gründung der Zeitung Libération 1973, unterstützte er die Neue Linke. Statt theoretisch ihm näher stehende libertäre Bewegungen bevorzugte er allerdings die doktrinären Maoisten von Benny Lévy, ähnlich wie er früher die traditionellen Kommunisten des PCF statt die Vertreter von Socialisme ou barbarie wählte. Denn in Übereinstimmung mit seinen moralischen Prinzipien konnte das Kriterium seiner Wahl nur die politische Wirksamkeit und nicht die Theorie sein.
Ein schwerer Schlag war für Sartre seine Erblindung 1973. Doch bis zu seinem Tod 1980 hörte er nicht auf, den Benachteiligten dieser Welt mit seinem Namen zu helfen. Dazu gehörten prominent die sowjetischen Dissidenten – schon 1965 hatte sich Sartre für Brodskij eingesetzt – und die Boat People aus Vietnam, aber auch ein Besuch beim RAF-Terroristen Baader im Kampf gegen politische Gefäng-nisse.
Ein Résumé
Wer nach der bleibenden Leistung von Sartre fragt, findet sie an jenem Schnittpunkt von Philosophie, Moral, Literatur und Politik, der für Sartre so charakteristisch ist. Mit seiner Philosophie und seinen literarischen Werken verlieh er wie kein zweiter einer Lebensauffassung Ausdruck, die heute so weit verbreitet ist, dass sie niemand mehr mit Sartre in Verbindung setzt: Jeder ist frei, nach seinem eige-nen Lebensentwurf zu leben und glücklich zu werden. Niemand darf wegen eines anderen Lebens-entwurfs diskriminiert werden. Heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, sind wir alle Existentialisten. Dass das zurückgegangene Interesse an Sartre auch mit der überwältigenden Akzeptanz der existen-tialistischen Grundthesen zu tun hat, war schon in Sartres Interview mit Lotta Continua 1977 ein The-ma.
Sartre setzte sich intensiv gegen Antisemitismus (Réflexions sur la question juive 1945/46) und Ras-sismus (La putaine respectueuse 1946) ein. Bis zu seinem Tod war Sartre ein Verteidiger Israels. Sein Engagement gegen Rassismus weitete er zum Kampf gegen den Kolonialismus aus. Nicht zu unter-schätzen ist auch sein Eintreten für Schwule wie Genet. Über de Beauvoir – „man wird nicht zur frau geboren, man wird dazu gemacht“ – beeinflusste er grundlegend den Feminismus. Und mit seinem Einstehen für die neuen sozialen Bewegungen in den 70er Jahren wurde Sartre zu einem der Vorväter der Bewegungen, die heute neben den Parteien die Politik beherrschen. Sartre, der letzte bedeutende Intellektuelle der französischen Geschichte, erwarb sich bleibende Verdienste um die moderne Ge-sellschaft.
Doch wo Licht, ist auch Schatten. Manche Kritik fällt jedoch eher unter das Stichwort der Sartrophobie: dass Sartre sich in den 30er Jahren nicht an die Moral hielt, die er in den 40er Jahren entwickelte
dass Sartre am Lycée Pasteur eine Stelle antrat, die der Vorvorgänger verlor, weil er Jude war
dass Sartre unter den Deutschen publizierte und nicht mit der Waffe in der Hand gegen sie kämpfte – aber dies gilt auch für Camus und Aragon. Und wer Sartre vorwirft, in La république du silence den Wider-stand der Franzosen zu verherrlichen, sollte auch Paris sous l’occupation lesen, wohl eines der besten Bilder des zwischen passivem Aussitzen und aktiver Kollaboration schwankenden Frankreichs. Die Tatsache, dass seine heftigen Gegner in den Jahren 1945-50 keinen dieser Punkte erwähnten, be-weist zur Genüge deren historische Unhaltbarkeit.
Von Gewicht ist jedoch die Kritik, dass Sartre, der Philosoph der Freiheit, den totalitären Charakter der extremen Linken in unglaublichem Masse unterschätzte. Neun Jahre nach Sartres Tod war der Traum einer linken Revolution, die Freiheit und Gerechtigkeit bringt, tot. Der Sowjetkommunismus brach in einem Aufstand der Freiheit zusammen, während der Maoismus sich in eine wirtschaftliche Laissez-faire-Gesellschaft umwandelte. So bedeutend Sartres Leistungen als Philosoph der Freiheit waren, in seinen Hoffnungen auf eine sozialistische Revolution irrte er sich vollständig. Die Wende hin zu einer liberalen politischen Verfassung, wie sie die nouveaux philosophes, Glucksmann und Lévy, und zu-letzt auch Foucault in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Gouvernementalität 1978-79 ver-traten, schaffte er nicht mehr.
Sartes Bedeutung liegt heute in seinem radikalen Eintreten für eine Verantwortungsethik. Die Fanati-ker des Klimaschutzes, die Antiglobalisierer, die Anhänger eines absoluten Rechts auf Leben, die Verteidiger der Koalition der Guten gegen die Bösen – sie alle von Links bis Rechts eint, dass sie Gesinnungsethiker sind. Sie sind alle Hugos und keine Hoederers, die sich engagieren und dabei die Hände schmutzig machen. Die bissige Intellektuellenkritik in Les mains sales wartet noch auf ihre Rezeption. Sartres Ablehnung des absolut Guten und absolut Bösen und seine Weigerung, die Mittel von den Zwecken zu trennen, setzen einen bemerkenswerten Gegenpunkt zur heute geltenden Auf-fassung von Moral. Für Sartre war klar: der Mensch kann und darf Mittel zum Zweck sein.
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